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Die Geschichte des Lebens


Da war ein kleines Ding. Es war zu niemandem gehörig. Gott wollte es nicht, weil es verletzlich und sterblich war. Der Teufel wollte es nicht, weil zu viel Gutes in ihm war. Sie entschieden, das Leben den Menschen zu geben. Viele würdigten es, doch andere traten es mit Füßen. Das arme kleine Leben wusste nicht, was es falsch gemacht hatte, wenn einige es weggaben, um zu Gott oder seinem Rivalen, dem Teufel zu gehen. Das Leben gab sein Bestes. Es musste vieles ertragen. Krankheiten, die es fast ausrotteten, Kriege, die es bis an den Rand seiner Existenz brachten. Doch am meisten machten es dem Leben die Menschen fast unerträglich schwer, die dachten, sie könnten über es bestimmen und Gott oder eben Teufel spielen. Doch das Leben war zu gutherzig ,als dass es sich diesen Menschen entziehen könnte. Es wollte Niemandem weh tun.

Das Leben hatte oft das Leid der Leute gesehen, deren Liebsten es weggenommen worden war. Es fühlte sich oft schuldig, da es sich in vielen Fällen den falschen Leuten entzog, wie liebevollen Müttern, herzensguten Schwestern und Brüdern und von besorgten Vätern. Doch es hatte nur eine bestimmte Zeit für jede Person. Außer für eben diese, die sich entschlossen hatten, dass das Leben ihrer nicht würdig war. Das Leben fürchtete solche Leute. Es verstand sie nicht. Wieso wollte man es nicht? Etwa weil etwas schiefgelaufen war und der Mensch in diesem Moment keinen Ausweg sah? Das Leben wünschte sich, dass die Menschen mit mehr Verstand handeln und es nicht ständig in Gefahr bringen sollten. Denn das Leben liebte jeden einzelnen seiner Menschen. Die einzigen, für die das Leben kein Verständnis hatte, waren diejenigen, die ihm nur Verachtung entgegen brachten und die meinten, Herr über das Leben und den Tod zu sein.

Das Leben war oft sehr einsam und begleitet von Wut, Hass und Trauer. Doch wenn diese versuchten, das Leben zu übernehmen, kamen Liebe, Freude und Glück zu ihm, um es wieder aufzufangen. Das Leben lernte viele berühmte Leute kennen, doch am besten blieben ihm die Menschen in Erinnerung, die stark gegen Wut, Hass und Trauer ankämpften, die Leute, die in und mit ihm viel Schlimmes erlebt hatten, diejenigen, die Leute kannten, denen das Leben durch Krankheiten, Unfälle, Morde oder Kriege genommen worden war, diejenigen, die durch Liebe der Familie und der Freunde, die durch die Freude am Leben weiter gegen den Schmerz, die Wut, den Hass und die Trauer ankämpften, diejenigen, die das Glück noch zu leben, nicht mit Füßen traten.

Das Leben weiß, wie schwierig es sein kann. Doch es weiß auch, dass es keine Alternative zu ihm gibt. Es ist keine Lösung, es sich oder anderen zu nehmen, nur weil das Leben in falschen Bahnen läuft, nur weil es vermeintlich weniger Glück bereit hält. Es lohnt sich nicht, es einfach wegzuschmeißen oder zu versuchen, es mit Drogen zu verschönern. Selbst wenn du jemanden verlierst, den du sehr geliebt hast, dich zu töten oder Vergeltung zu üben, bringt die Person nicht zurück. Und wenn du der Meinung bist, dir dein Leben nehmen zu müssen, denk an die, die du hier mit dem Leben zurücklässt, wenn du zum Teufel oder zu Gott aufbrichst, denn für diese Leute wird das Leben so ganz bestimmt nicht besser.

Clara Ehrke, Klasse 12

„Die Geschichte des Lebens“ entstand kurz nach dem Attentat in Halle. Ich war zu der Zeit, als die junge Frau erschossen wurde, nur wenige Straßen entfernt. Ich konnte die Schüsse hören. Das war unheimlich. Als ich dann erfahren hatte, dass dort jemand ermordet worden war, musste ich, wie schon so häufig, über den Tod und das Leben nachdenken. Ich entschloss mich obigen Text zu schreiben.