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Neuanfang

Neuanfang. Ein seltsames Wort, denn ist nicht jeder Anfang etwas Neues? Oder kann man auch etwas Altes neu anfangen?

Vor einem Monat wurde mir gesagt, ich müsse Abschied nehmen und einen Neuanfang wagen, doch was soll das bedeuten? Abschied nehmen – es gibt tausend verschiedene Varianten dies zu tun: Per Nachricht, mit einem Brief oder doch von Angesicht zu Angesicht. Aber gibt es bei diesen vielen verschiedenen Wegen einen richtigen? Einen Weg, der vielleicht nicht nach Rom führt, sondern in eine Welt, in der Abschied nehmen in Ordnung ist. In eine Welt, in der man sich nicht dafür rechtfertigen muss, wie oder weshalb man so handelt. In eine Welt, in der es in Ordnung ist zu gehen oder gehen zu lassen oder ist das Utopie, ein Wunschgedanke? Ist es in Ordnung einfach so zu gehen – Abschied zu nehmen? Das Gefühl nachdem man gegangen ist und versucht einen neuen Neuanfang zu wagen, ist als würde man sich selbst und alle Anderen verraten haben. Doch warum? Warum kann es nicht einfach akzeptiert werden, wenn es der sehnlichste Wunsch ist, einfach Abschied zu nehmen und zu gehen? 

Es wird keine allwissende Formel dafür geben, doch der Grund warum ich keinen Abschied nehmen will ist, dass ich Angst habe. Angst davor was passiert wenn ich gehe und mein altes, damals noch neues, Leben hinter mir lasse. Angst davor, dass ich sie vergesse, ihre Gesichter, ihre Stimmen, dass was ihre Präsenz mit mir gemacht hat. Ist es deshalb nicht auch in Ordnung keinen Abschied nehmen zu wollen? Keinen Neuanfang beginnen zu wollen? In dieser ewigen Endlosschleife feststecken zu wollen, nur weil man hofft, man bekomme sie so zurück. Ihre Gesichter, ihre Stimmen, das was ihre Gegenwart mit mir gemacht hat.

Wer bin ich, mir anmaßen zu wollen, darüber ein Urteil zu fällen, wie andere mit ihrem persönlichen Abschied und dem damit vielleicht verbundenen Neuanfang umgehen sollen?

Es gibt kein “falsch”, haben sie mir gesagt. Ich solle einfach auf Wiedersehen sagen und gehen, ohne zurückzublicken. Doch wenn es kein falsch gibt, kann es dann ein richtig geben? Könnte ich jemals, egal wie sehr ich mich anstrengen würde, es richtig machen? Denn wenn es kein falsch gibt, dann kann es doch auch kein richtig geben. Das Gleichgewicht, das Verhältnis zwischen diesen beiden Dingen, muss sich doch die Waage halten. 

Also nein, ich denke nicht, dass man es richtig machen kann. Doch wie macht man es dann? Per Nachricht, mit einem Brief oder doch von Angesicht zu Angesicht? Wie soll ich es machen, wenn doch nichts falsch ist? Man aber im Nachhinein wieder von den selben Leuten, die dir sagten es sei gut so, zur Liquidation geführt wird, sie dich wieder verurteilen und sagen, du hättest es doch falsch gemacht. In was für einer Welt, kann man darauf hoffen, einen Abschied richtig zu machen, wenn es doch kein richtig oder falsch gibt, am Ende aber doch alles falsch ist. 

In was für einer Welt, wird man eine Chance bekommen, egal wie klein sie auch sein mag, einen schönen Anfang von etwas Neuem zu haben? 

Ich weiß es nicht, will es vielleicht auch gar nicht wissen, denn ist es so nicht viel einfacher? Wenn man sich einreden kann, man hätte alles versucht, egal wie es am Ende ausgegangen ist. Ist es so nicht viel einfacher, wenn man in dem Glauben einschlafen könnte, niemand Anderes würde nachts wach liegen und an diesen Abschied denken, an diesen nicht falsch durchzuführenden Abschied, welchen man am Ende doch falsch gemacht hat. 

Wir alle befinden uns auf einem kleinen, halbwegs runden Ball, dieser befindet sich auf einem Spielplatz, welchen wir ‘Sonnensystem’ nennen und doch denken wir es wäre wichtig, wie wir uns fühlen. Wir denken, wir könnten unser über das Wohl anderer stellen, nur damit uns ein Abschied und der damit verbundene Anfang von etwas Neuem leichter fällt. Doch so ist es nicht: Schreiben wir eine Nachricht, über das Handy, so können wir zwar schnell damit abschließen, doch wird es der anderen Person umso schwerer fallen. Wir könnten einen Brief schreiben, das ist doch immer persönlicher, richtig? Man investiert etwas mehr Zeit, um die Tinte nach dem Schreiben trocknen zu lassen und ihn daraufhin in einen Briefumschlag zu packen, welcher dann ein paar Tage später bei dem Empfänger ankommt. Oder man macht es von Angesicht zu Angesicht und hofft, man bekommt es hin, die Worte so aufzusagen, wie man sie aufgeschrieben und auswendig gelernt hatte und der Gegenüber bricht nicht völlig zusammen. 

So oder so, es gibt keinen falschen Weg, aber auch keinen Richtigen. Wir werden die Welt, ob gewollt oder ungewollt, von dem Betreffenden auf den Kopf stellen und um 180° drehen, doch ist das schlecht?

Alexandra Fritz, Klasse 12

Eva-Hoffmann-Aleith-Preis 2022, Epik, Preisträgerin