Mit dem Finger zeigen sie auf mich
Sie dachten ich wäre schwul, aber das bin ich nicht. Gemobbt haben sie mich, ausgeschlossen. Durch sie fühlte ich mich schlecht und schwach. Mit dem Finger zeigten sie auf mich und tuschelten, doch warum? Weil ich anders bin als sie?
Ich bin Emil, 17 Jahre alt. Nachdem Sie die ersten Zeilen gelesen haben denken Sie bestimmt so etwas wie: “Mal wieder ein Teenager, der über seine Problemchen jammert. Als hätten wir nicht genug mit uns zu tun!“ Oder? Aber bitte geben Sie dieser Geschichte eine Chance und lesen Sie bis zum Ende. Dann können Sie ja immer noch sagen: „Habe ich es doch gleich gesagt.“
Schon mit fünf Jahren bemerkte ich, dass ich anders war als die anderen. Alle anderen spielten Fußball, doch ich war anders. Ich spielte lieber mit den Puppen, die ich zu Weihnachten bekommen hatte. Später schlich ich mich in das Schlafzimmer meiner Eltern und zog mir Mamas Kleider an. Es war nicht zu vermeiden und bald bemerkten es meine Eltern und redeten mit mir. In diesem Moment begriff ich etwas, was ich eigentlich schon all die Jahre gespürt hatte. Ich bin transsexuell.
Sie haben gefasst reagiert. Das entsprach nicht meinen Erwartungen, aber dafür meinen Hoffnungen, was mich von einer unglaublichen Last befreite. Aber da ist noch mein Bruder. Als Problem darf man ihn nicht bezeichnen, aber Jonas ist 21 und das Ideal eines Mannes. Er ist durchtrainiert, bei allen beliebt und hat eine hübsche Freundin. Daher kann er meine Empfindungen nicht nachvollziehen. Er fühlt sich in seinem Körper wohl, lebt es aus er selbst zu sein. Trotzdem unterstützt er mich wie meine Eltern. Ich sage immer zu ihm er soll sich vorstellen, dass er genauso fühlt wie jetzt nur dabei sieht er aus wie ein Mädchen. Er sagt immer, dass er sich das nicht vorstellen kann. Ist schwer, aber so geht es mir jeden Tag.
Ich stehe vor dem Spiegel und schaue mich an. Wie sehr ich meinen Körper hasse. Tränen laufen über meine Wange. Kurz darauf finde ich mich schluchzend und zitternd auf dem Boden wieder. Ein erbärmliches Häufchen Elend schaut mich an. Es dauert etwas bis ich realisiere, dass das ich bin.
In dem Moment kommt Jonas ins Bad. Ich spüre seine Hand auf meinem Rücken. Er wischt meine Tränen weg und flüstert leise: „Tilda, warum weinst du? Siehst du nicht, wie schön du bist?“. Dies löste etwas in mir aus, was man mit Worten nicht beschreiben kann. Tilda! Das ist mein Name. Das bedeutet Kämpferin.
Es ist die Ruhe und Vertrautheit, die er ausstrahlt, denn ich erzählte ihm jetzt alles. Wie sie mich beleidigen und mobben. Die ganze Zeit trage ich diese Last auf meinen Schultern, kann mit niemandem reden, außer mit ihm. Bei ihm fühlt es sich so an, als würde ich nach einer langen, anstrengenden Reise nachhause kommen. All der Kummer, die Angst vor dem, was morgen kommt, sind weg. Ich breche in seinen Armen zusammen, merke wie mir das alles zu schaffen macht, wie erschöpft ich bin, wie kaputt. „Weißt du Emil, die haben keine Ahnung, wer du bist. Solche Leute können dich zerstören, aber nicht, wenn du an dich glaubst. Ich hoffe, dass diese Menschen einmal begreifen, um was es im Leben geht. Aber glaub mir, wenn ich dir sage, dass du es schon längst verstanden hast. Bis es soweit ist reicht es, wenn wir beide wissen, was wir wollen, wissen wer wir sind und was es bedeutet du selbst zu sein. Vor uns liegt noch ein langer Weg, der viel Kraft kostet, aber zusammen schaffen wir das. Ich liebe dich. Du bist und bleibst für immer meine kleine Tilda.“
Ronja Fischer – Text: “Wir haben eine Preisträgerin”