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Ein Tag, der die Welt verändert

Der Morgen des 11. September 2001 ist für meine Familie und mich wie jeder andere. Auch in New York schien es ein ganz normaler Dienstag zu werden. Es war etwa 7.30 Uhr und allmählich kam Leben in die Millionenstadt. In das World Trade Center, das an manchen Tagen bis zu 80.000 Besucher hatte, strömten die Menschen zu ihren Arbeitsplätzen. Auch Hans Dudek erwartet einen ganz normalen Arbeitstag.

Wir sind am Nachmittag zum Kaffee bei meinem Opa eingeladen. Es ist ein sonniger Tag und ich bekomme mit meinen eineinhalb Jahren noch nicht viel vom Weltgeschehen mit. Als wir um knapp 15.00 Uhr in Dreetz ankommen, werden wir schon mit den Worten ,,Habt ihr schon gehört? Es ist ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen“ begrüßt.

Hans Dudek, ein ehemaliger Software-Berater aus Hamburg, ist seit einigen Monaten Berufsfeuerwehrmann in New York. Er ist zu diesem Zeitpunkt in seiner Wohnung in Greenwich Village. Als er nach den Nachrichten im Radio den Fernseher einschaltet und sieht, wie ein weiteres Flugzeug in das Nachbargebäude stürzt, packt er seine Ausrüstung und rennt los. Als er ankommt, wird er noch, bevor er helfen kann, Zeuge, wie die Türme in sich zusammenbrechen. Er sieht, wie Menschen aus den Fenstern springen. Sie waren von Flammen umgeben und fanden keinen anderen Ausweg, obwohl sie wussten, dass sie in den sicheren Tod springen würden. Der Staub und die Asche hüllten die Stadt innerhalb weniger Minuten in eine graue Wolke.

Als meine Schwester wenig später aufgeregt angelaufen kommt und sagt, dass ein zweites Flugzeug in das andere Gebäude geflogen ist, gehen wir ins Wohnzimmer, wo wir die unzähligen Live-Berichte im Fernsehen verfolgen und sehen, wie die Zwillingstürme in sich zusammenbrechen. Es wird von tausenden Toten berichtet. Meine Schwester, die zu diesem Zeitpunkt erst 10 Jahre alt ist, versteht schon, dass es kein Unfall sei. Sehr beeindruckt von diesen Ereignissen fahren wir bedrückt nach Hause. Mein Bruder, der mit 7 Jahren noch nicht versteht, was passiert ist, hat beschlossen, im nächsten Jahr nicht mit meinen Großeltern in den Urlaub zu fliegen. Ihm reicht der Anblick der Flugzeuge, wie sie geradewegs in die Zwillingstürme stürzen.

Hans Dudek ist damit beschäftigt, seine Kollegen, die Menschen aus den gewaltigen Staubwolken befreit hatten, in notdürftigen Versorgungszelten, die in ganz Manhattan aufgebaut wurden, zu betreuen. Er wäscht ihnen die Augen aus und gibt ihnen Sauerstoffspender. Die Männer brechen Supermärkte und Apotheken auf, um Lebensmittel und Verbandszeug zu holen. Sie haben gesehen, wie die Menschen aus Fenstern sprangen, aber alles war unter den riesigen Stahlträgern und den rund 1,5 Milliarden Kilogramm Schutt des ehemaligen World Trade Centers begraben. Sie arbeiten nun schon seit 24 Stunden. Von den Rettungskräften geht niemand nach Hause, solange er sich noch auf den Beinen halten kann. In den ersten 24-48 Stunden nach einer Katastrophe läuft alles provisorisch. Danach kommen mehr und mehr Helfer und alles wird koordiniert. Die Helfer versuchen alles, um Menschenleben zu retten, aber wer bei dem Einsturz noch im Gebäude ist, hat keine Chance.

Etwa 18.000 bis 20.000 Menschen konnten aus den beiden Türmen flüchten oder wurden durch Polizisten oder Feuerwehrmänner evakuiert. Rund 380 der Helfer starben.

Die Überlebenden haben später die Namen ihrer verstorbenen Kollegen auf ihre Feuerwehrautos und Polizeijacken geschrieben. Sie wurden als Helden gefeiert, doch dies geriet in den letzten Jahren immer mehr in Vergessenheit. Die Männer und Frauen, unter anderem Hans Dudek, haben für die Rettung tausender Menschenleben ihr eigenes aufs Spiel gesetzt. Und einige haben durch diese Hilfsbereitschaft sogar ihr Leben verloren.

Meine Familie weiß noch genau, was sie an diesem Tag gemacht hat und so geht es wahrscheinlich vielen. Vor allem den Bewohnern von New York, die diesen Tag wohl als den unvergesslichsten ihres Lebens ansehen. Jedes Jahr am 11. September erinnert sich meine Familie an diesen Tag, an dem wir eigentlich nur Kaffee trinken wollten, zurück. Dies ist einer der Gründe weshalb ich weiß, was an diesem Tag passiert ist.

Ich hoffe, dass es nicht noch mehr solcher grausamen Tage gibt, die man aus furchtbarem Anlass ein Leben lang nicht vergisst, aber auch nicht vergessen darf.

Mareike Kraushaar

Bild: von Lilian Laue; Oktober 2014