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Habe den Mut allein zu sein

Ich bin welthungrig, möchte reisen und wandern. Da kam der Kinofilm „Wild – Der Große Trip“, für meinen Geschmack, genau richtig. Bevor ich den Film sehen würde, wollte ich aber unbedingt das Buch lesen.

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Cheryl Strayed, eine Frau im Chaos ihres eigenen Lebens, die sich für einen streunenden Namen entschieden hat. Als zentrale Figur in der autobiografischen Geschichte versucht sie ihr Leben nach dem Tod ihrer Mutter neu zu ordnen. Zu Beginn ihrer Wanderung ist ihre Mutter bereits über vier Jahre verstorben. Die Protagonistin sucht nach Gründen für ihr eigenes Verhalten in jüngster Vergangenheit und warum ausgerechnet sie ständig allein sein muss.

Film und Buch liegen weit auseinander. Natürlich, Filme sind dramatisiert und Gedanken sind meist nicht zu sehen. Besonders gut aber ist die innere Unruhe und das Durcheinander dargestellt. Man unterscheidet kaum zwischen Realität und Fiktionalität, was bei den eingefügten Flashbacks auffällt. Teilweise bekommt man das Gefühl einen Horrorfilm zu schauen, was den vorherigen Buchleser eher verwirrt. Beispielsweise darf man dabei zusehen, wie sich Cheryl von einem Fußnagel trennt. Im Buch lautet es nur „ein kurzer stechender Schmerz“, doch im Film bricht erst eine Panik über den Anblick des Nagels aus und dann wird geschrien wie am Spieß als der Nagel ab ist. Daraufhin entsteht ein Wettkampf um die Fußnägel zwischen dem Trail und Cheryl. Am Ende steht es 6:4 für den Trail. Die in einem Jahr 40 werdende Reese Witherspoon, die Cheryl verkörpert, sieht schon zu Beginn des Films geschafft aus und vom Leben gezeichnet. Sie soll eine 26-jährige darstellen, wirkt aber leider sehr viel älter.

Kleine, aber für die Wahrnehmung und Beurteilung einer Person oder Geschichte wichtige Einzelheiten sind im Film leider oft verschwunden. Statt einem neuen Mann, an der Seite der Mutter, ist die allein. An Stelle von drei Geschwistern, sind es nur zwei. Ein eigentlich eloquenter, sympathischer Ex-Ehemann, in den man sich sofort verlieben könnte, wirkt kühl und distanziert. Cheryl selbst wirkt im Buch auch sympathischer und offen, im Film eher in Gedanken versunken und nur offen weil sie auf Menschen zugehen muss, um weiter zu kommen.

Insgesamt fehlt mir in dem Film die Vorgeschichte und die aufsteigende Harmonie am Ende der Reise. Buch und Film treffen sich entgegen dem Vorherigen schon am Anfang. Cheryl verliert einen Schuh und wandern ohne Schuhe ist wie schwimmen ohne Wasser. Er stürzt die Böschung hinunter. Nach kurzer Verzweiflung folgt aber sofortige Erleichterung. Sie wirft den zweiten Schuh hinterher, denn die Schuhe bereiteten ihr große Schmerzen. Sie waren zu klein. Der Aspekt der Erleichterung fehlt im Film leider.

Die Fragen nach alltäglichen Dingen werden witzig, selbstverständlich, uncharmant aber kurz erklärt. Wie geht man in der Einöde auf die Toilette?

Abschließend ist der Film ohne das Buch nicht ganz vollständig. Die Geschichte wirkt, obwohl sie autobiografisch ist, nicht zu Ende gedacht, zu schnell und verwirrend. Von vielen Kritikern wurde der Film als ein Abklatsch von „Into the Wild“ abgetan, aber davon sollte man sich selbst ein Bild machen, denn Gründe und Ziele der Stories sind grundsätzlich verschieden.

Man muss akzeptieren und lernen allein zu sein. Jeder braucht mal eine Pause von Gesellschaft oder sehnt sich danach. Mit dem Alleinsein setzt sich Cheryl stark auseinander. Sie will einmal ein Buch schreiben und gibt so jedem Abschnitt ihrer Wanderung mit einem Zitat einen Namen. Als Leser erlangt man damit weise Sprüche, über die es sich lohnt nachzudenken.

Wenn dein Mut sich dir verweigert – geh über deinen Mut hinweg „- Emily Dickinson

Ich gehe langsam, aber ich gehen nie zurück.“ – Abraham Lincoln

Sie übt sich im Alleinsein und akzeptiert es und merkt zunehmend, dass sie es braucht. Man verliert sich in dem Buch. Es ließt sich schnell und unkompliziert, obwohl fast das gesamte Buch von einer Wanderung erzählt. Das ist wahrlich eine Kunst, den Leser damit nicht einzuschläfern.

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Nachdem ich alles, Wort für Wort, förmlich aufgesogen habe, nahm ich mir vor, den kleinen kanadischen Teil des PCT im nächsten Jahr vielleicht selbst abzuwandern.

Emily Kroll

     Bilder: https://www.pinterest.com/pin/448460075370698194/

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