Zurück

Rezension des Lehrplanes

Rezension des Lehrplanes

 

Theoretisch hätte ich eine Rezension zu einer „Faust“-Inszenierung verfassen sollen. Jedoch wurde mir bei der Recherche klar, dass ich viel lieber eine Kritik zu dem inhaltslosen Lehrplan aus der Sicht einer Schülerin aus Brandenburg schreiben würde.

 

Ein Gespräch über das derzeitige Programm unseres Bildungssystems dauert mit meinen Bekannten oft nur wenige Minuten. Schnell kommen wir kopfschüttelnd überein, dass im Lehrplan gnadenlos radiert und dabei oft die wirklich interessanten Themen gestrichen werden. Hierzu zähle ich nicht unbedingt die Berechnung des Abstandes zwischen einem Punkt und einer Ebene oder den Kernzerfall. Mathematik- und Physiklehrer ärgern sich darüber, aber ich bin mir relativ sicher, solche Gleichungen in meinem Leben nie wieder benutzen zu müssen … oder hoffe es viel mehr.

Einige meiner Klassenkameraden schauen sich kurz vor einem Test den Film oder die Zusammenfassung zum Buch an. Der ein oder andere liest die „Pflichtlektüre“ noch. Doch woran liegt es, dass wir so leidenschaftslos geworden sind? Vielleicht an dem Wort „Pflichtlektüre“? Sicherlich nicht. Generationen vor uns konnten es doch auch. Gelesen werden heute meist nur bearbeitete Werke, „vorgekauter Brei“, der den Schüler nicht mehr zum Denken, sondern nur noch zum „Nachkauen„ und „Verdauen“ anregt. Und genau das ist oft sogar das „Verkaufsargument“: Schwierige Texte sollen zugänglicher für desinteressierte Schüler werden, der Abstand zwischen der Wortkunst längst vergangener Zeiten und dem Leser minimiert, meiner Meinung nach auf Kosten des Werkes.

Zunehmend habe ich das Gefühl, dass einige Lehrer Materialien nutzen, die schon Schüler Jahrzehnte vor uns bearbeiten mussten. Das Rad soll nicht neu erfunden werden, nur ab und zu der Reifen gewechselt.

Kein Schüler freut sich darüber, früh aufstehen und fast den halben Tag in einem Gebäude verbringen zu müssen, dessen Wände immer gleich aussehen, während wir darin in 10 oder 12 Jahren Schule zu Individuen heranwachsen sollen. Kaum einer von uns ist dankbar dafür, in den Genuss von Bildung kommen zu dürfen und das ist ein Armutszeugnis unserer Regierung.

Schule bedeutet für uns Leistungsdruck und Stress, den wenigsten macht es noch Spaß. „Das Leben ist kein Ponyhof“ lehrte uns Sarah Burrini(Zeichnerin und Autorin), doch auch auf einem Ponyhof gibt es nicht nur Misthaufen. „Klassische“ Unterrichtsmethoden sind überholt: Wir Schüler wollen angeregt, begeistert und nicht gelangweilt werden.

Gerade ein Klassiker wie Goethes „Faust“ sollte anders behandelt werden. Nicht nach der altbekannten Formel:

 

Lektüre lesen + den „Prolog im Himmel“ auswendig lernen = Kulturerlebnis

 

Selbst meine mathematischen Kenntnisse reichen aus, um zu erkennen, dass diese Formel nicht ganz aufgeht, jedenfalls nicht aus der Perspektive eines Schülers.

Es gibt andere, bessere Methoden, um „Faust“ interessant zu machen. Es könnten Parallelen zu modernen Figuren aus Büchern, Filmen oder Serien gezogen werden. Die spannenden „Blockbuster“ (= „Kassenschlager“), die die beste Sendezeit belegen, bestehen doch neben einer aufwendigen Produktion auch nur aus Intrigen, Manipulation und gut aussehenden Schauspielern. Wenn man das erkennt und gleichzeitig einen Bezug zur Vergangenheit herstellt, kann das viel zum Verständnis eines Klassikers beitragen.

Gerade dieses Aushängeschild der deutschen Literatur steht doch modellhaft für den Widerspruch zwischen zwei Polen: Unserem persönlichen Engel- und Teufelchen auf der Schulter, die uns im gleichen Maße versuchen zu beeinflussen.

Menschliche Schwächen, Stärken und Gefühle sind zeitlos, für uns genauso aktuell, wie sie für unsere zukünftigen Kinder sein werden. Schlichtweg verändert sich doch nur die Verpackung, ob nun ein gerissener Manipulateur in Form von Goethes Mephisto für Unheil sorgt oder Frank Underwood (aus der US-amerikanischen Fernsehserie „House of Cards“) mit seiner Frau ein Netz aus Intrigen, Korruption und Mord spinnt, spielt dabei keine Rolle. Letztendlich geht es doch um den Kern, darum das Publikum mitzureißen. Ist Schülern „Faust“ zu langweilig, muss es eben anders „rübergebracht“ werden. Modernisiert, ohne, dass das Lebenswerk Goethes Schaden davon trägt. Würden Schüler die Parallele zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem sehen, wäre ein solcher Text für sie inhaltlich vielleicht nicht mehr ein allzu großes Problem.

Meine schulische Laufbahn umfasst nur noch wenige Monate, daher werde ich nicht mehr in den Genuss kommen, entstaubte Klassiker im Unterricht zu erleben. Den Jahrgängen unter mir wünsche ich allerdings, dass sich das Ministerium den Aufwand macht, anspruchsvolle Werke zurück in den Unterricht zu holen und interessant aufzubereiten. Was nützt einem ein Aushängeschild der deutschen Literatur, wenn niemand mehr darüber sprechen kann, ohne einzuschlafen?

 

Marie-Luise Thoms