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Von Januar bis Februar 1945

Diese Erlebnisse wurden von Heinz M. erzählt, dem Bruder meiner Großmutter Ingrid. Sie war noch zu jung, um sich daran zu erinnern.

75 Jahre nach Beginn dieses Krieges dürfen wir niemals vergessen, wie grausam er war und wir sind als heutige Generation dafür verantwortlich, dass es zu so einer Katastrophe nie mehr kommt.

Es war ein kalter Januarnachmittag und die Kälte kroch durch die Wände. Ich – Heinz – und mein neunjähriger Bruder Horst spielten gerade mit unserer Schwester mit Murmeln, als ich etwas hörte. Ich rannte mit Mutter aus dem Haus, um zu sehen was los war. Eine Kolonne aus Pferdewagen kam in unser Dorf. Die Russen kommen, riefen die Menschen. Sie sind wieder durchgebrochen, sagte eine Frau. Lauft, verlasst eure Häuser, schrie ein anderer. Großvater kam aus dem Stall und lief zu einem der vorbeifahrenden Wagen und fragte, wie weit sie noch weg seien. Mit einer entgeisterten Miene kam er zurück und sagte, wir sollten ins Haus gehen. Wir gingen alle in die Küche. Großvater sagte, dass die Russen in etwa 60 bis 70 Kilometern durchgebrochen waren und dass wir den Hof so schnell wie möglich verlassen sollten. Er ging in den Stall, um Pferd und Wagen fertig zu machen. Großmutter und Mutter packten eilig alle notwendigen Sachen ein. Wir Kinder gingen noch ein letztes Mal in unser Zimmer.

Dann fuhren wir los. Großvater ließ das Pferd ein bisschen schneller laufen, damit wir die zwanzig anderen Wagen, die schon früher losgefahren waren, noch einholten. Aber woher soll Vater wissen, dass wir weggefahren sind, wenn er aus dem Krieg zurückkommt, fragte ich. Es ist nicht mal sicher, dass er zurückkommt, sagte Großvater traurig. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter und ich fing an zu frieren. Es sagte niemand mehr ein Wort, wir waren alle traurig und wir froren. Es wurde dunkel und wir schliefen ein.

Ich öffnete die Augen und sah die Sonne. Mutter hatte die Zügel in der Hand und dunkle Ringe unter den Augen. Sind wir die ganze Nacht durchgefahren, fragte ich. Ja, erst Großvater und dann ich, sagte sie, aber das Gute ist, dass wir die anderen jetzt eingeholt haben. Und wirklich, ich sah etwa zwanzig Wagen vor uns und ich erkannte einige unserer ehemaligen Nachbarn. Doch auf einmal spürte ich einen grauenhaften Schmerz und ich sah auf meine blauen Hände. Ich versuchte, sie zu schließen, doch es gelang mir nicht vollständig. Wir aßen zum – wenn man es so nennen konnte – Frühstück trockenes Brot, das Mutter eingepackt hatte. Der lange Weg wirkte sich auf uns alle aus und uns taten die Knochen weh, doch die Kälte war noch unerträglicher, der Schmerz in Händen und Füßen wurde immer schlimmer. Als er nach einer Weile nachzulassen schien und ich es Großvater sagte, meinte er, das sei ein Zeichen dafür, dass meine Glieder damit beginnen würden, zu gefrieren. Ich solle ja nicht aufhören, sie zu bewegen, auch wenn es weh tue. Wir fuhren durch viele verlassene Dörfer. Am Abend hielten wir das erste Mal und setzten uns an ein Feuer, das Mutter gemacht hatte. Die Wärme tat gut und wir aßen wieder Brot, das im Laufe das Tages steinhart geworden war. Aufgrund der Strapazen des Tages schliefen wir ziemlich schnell ein.

Als wir am nächsten Morgen weiterfahren wollten, weinte Ingrid und sagte, dass sie Kopfschmerzen hätte und während der Fahrt hustete sie immer stärker. Großmutter gab ihr eine ihrer Decken, in die sie sich gehüllt hatte und Ingrid schlief ein. Es ging noch ein paar Tage so weiter und Ingrids Zustand blieb stabil. Doch dann fing es an kälter zu werden und es fiel Schnee in dicken Flocken. Die Nächte waren unerträglich und der Wind machte alles schlimmer. Doch das Schlimmste kam noch. Nach einer weiteren Nacht auf dem Pferdewagen ohne viel Schlaf wachte Großmutter nicht mehr auf. Sie ist in der Nacht erfroren. Großvater wickelte sie in eine Decke. Nach einer Diskussion zwischen ihm und Mutter hatten wir uns entschieden, Großmutters Leiche in ein Massengrab zu bringen und so mussten wir wieder zurückfahren. Als wir sie übergeben hatten, machten wir uns erneut auf den Weg. Doch Ingrids Lage verschlechterte sich und da wir auch fast nichts mehr zu essen hatten, hielten wir in einem Dorf namens Großwelle. Uns wollte niemand aufnehmen, doch Großvater überredete einen älteren Mann, uns in seine Scheune zu lassen. Hier sollten wir noch einen Monat vor den Russen sicher sein und obwohl die Bauern meinten, dass meine Schwester es nicht schaffen würde, erholte sie sich bald von ihrer Krankheit.

Lennart Moser

Klasse 8a

Gymnasium Friedrich Ludwig Jahn