CoronABI – mit Abstand die Besten
Der Sek-2-Schulhof. Es ist Mittwoch, 8 Uhr. Ich komme für meine Verhältnisse überpünktlich am Schulhaus an. Ich hatte mir fest vorgenommen, dieses Mal nicht geradeso vor dem Klingeln zur Tür reinzuschlüpfen, wie es die letzten 12 Jahre oft genug der Fall gewesen war. Heute, am Tag meiner ersten Abiturprüfung, fange ich an, meine Pünktlichkeit zu trainieren. Zu spät?
Ein paar meiner Freunde haben sich bereits eingefunden, manche trauen sich sogar, die Bänke zu benutzen. Es muss seltsam aussehen, wie wir da so stehen. Als hätte jemand ein paar bunte Figuren kreuz und quer über das Spielfeld verstreut, mit der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich möglichst keine berühren. Der Spielmaster, unser Oberstufenkoordinator, achtet genau darauf, dass wir die Regeln einhalten. Keine Umarmungen. Distanz wahren, auch wenn es nach langer Trennung schwerfällt. Der Mundschutz ist das Eintrittsticket, die Sechs auf dem Würfel, mit der das Spiel beginnen kann. Dann werden die Aufgaben und wir im Raum verteilt, die Arbeitszeit beginnt und mit ihr Erleichterung und Verzweiflung. Nach 270 Minuten ist die erste Spielfigur im Haus angekommen, die erste Prüfung geschafft. Und dennoch macht sich ein mulmig-zweifelhaftes Gefühl breit. Was erwartet uns in der nächsten Runde? Hätten wir noch besser spielen können? Jetzt können wir es nicht mehr ändern. Mensch ärgere dich nicht.
„CoronABI – mit Abstand die Besten“, so hätte unser Jahrgang heißen können. Stattdessen hatten wir uns, „als noch alles gut war“, für die „Goldenen Zwanziger“ entschieden. Sie waren golden, unsere Schuljahre. Klassenfahrten, Projekte, der ganz normale Unterrichtswahnsinn – da haben sich eine Menge Erinnerungen angesammelt, von denen wir immer wieder gern erzählen werden, ganz zu schweigen von den Menschen, die uns begegnet sind. Ein letzter besonderer Moment wurde uns mit unserer einzigartigen Abiturzeugnisausgabe geschenkt. Und nun? Die Welterkundung muss wohl vorerst warten, dafür gibt es dank verlängerter Bewerbungsfristen genug Zeit für Familie und Freunde. Manche haben schon einen Masterplan für Studium, Ausbildung oder FSJ, andere suchen noch nach der richtigen Richtung. Was bleibt, ist die Frage, ob nach uns wirklich alles die Stabilität verliert, wie der zweite Teil unseres Mottos besagt. Vielleicht wird ja tatsächlich erst einmal eine Lücke entstehen, wenn wir gehen, vielleicht ist es auch gut, Platz für die nächste Generation zu schaffen. Fast 2 Monate nach diesem einen Mittwoch räumen wir nun jedenfalls das Spielfeld, packen ein und ziehen weiter.
Es ist schon ein verrücktes Ende. Nach Quarantäne und Ferien das erste Wiedersehen zu den Prüfungen, kein Gaudi, keine Kostüme. Sicher kann man sagen, dass die Welt gerade mit deutlich schlimmeren Problemen zu kämpfen hat, als mit ein paar verpassten Schülertraditionen. Aber jahrelang haben wir aufgeblickt zu den Zwölfern und darauf hingearbeitet, eines Tages auch Süßigkeiten in die Klassen zu werfen und „Abi 2020“ auf alles zu schreiben, was uns in die Finger kommt. In den schwierigen Zeiten, wenn man enttäuscht von einem Misserfolg war oder sich neu motivieren musste, hat man sich an bevorstehenden Highlights wie auch dem Abiball festgehalten. Ich stelle mir manchmal die Frage, was mein Abi mir eigentlich wert ist, wenn ich es nicht richtig feiern kann. Aber unser Jahrgang hat auch gelernt, sich mit der Situation zu arrangieren. Das Krisenteam läuft auf Hochtouren, um uns doch noch einen Ball zu ermöglichen und auch unsere Lehrer-Organisatoren haben erneut ihr Engagement bewiesen.
Fazit: 12 Schuljahre wurden trotzdem mit einem Abitur belohnt, das sich sehen lässt. Und wie in unserer Schülerdankesrede gesagt: „wenn auch alles die Stabilität verliert, haben wir etwas geschafft, das uns keiner nehmen kann“. Darauf können wir wirklich stolz sein.
Juliane Vogler