KEIN Nachruf!
Günter Grass ist im Alter von 87 Jahren verstorben.
Literaturnobelpreisträger, Mitglied der Gruppe 47,Wahlkampfhelfer und Redenschreiber für Willi Brandt, Polarisierer und Einmischer, einer, der aus seiner Haltung nie einen Hehl machte, der trotzig oder mutig genug war, auch einmal gegen den „Mainstream“ anzuschreiben, sehr zur Freude der Kritiker, die seine Werke regelmäßig verrissen und eines ständig größer werdenden Lesepublikums, das die Auflagen seiner Novellen und Romane in die Höhe trieb.
Aber keine Angst, das soll kein Nachruf auf den Romancier, Lyriker, Grafiker und Bildhauer werden, das können andere mit Sicherheit besser.
Vielmehr kam mir die Idee, mein Bücherregal und mein Gedächnis nach Grass zu durchforsten und nach einiger Zeit bin ich dann auch fündig geworden.
Meine erste „ Begegnung“ mit dem Autor hatte ich 1985 als Student in einem Seminar mit dem schönen Titel „ Tendenzen der deutschen Gegenwartsliteratur“ an der Uni Greifswald, es ging um Literatur der BRD, was für einen DDR-Bürger nachvollziehbar von besonderem Interesse war, zumal die behandelten Werke zumindest zum Teil käuflich nicht zu erwerben waren. Wir stellten Autoren und jeweils ein Werk vor, meine Wahl fiel auf den Roman „Der Butt“ von o.g. G.G. Richtig verstanden habe ich den Roman damals nicht, zumal unser Seminarleiter noch vor Ablauf des Semesters seine Zelte an der Uni abbrach, so dass ich weder zu meiner Buchvorstellung kam, noch etwaige Verständnisprobleme durch gezielte Fragen aus dem Weg räumen konnte, es ging unter anderem um die Emanzipationsbewegung in der BRD, soviel hatte ich immerhin mitbekommen. Was mich aber nachhaltig beeindruckte, war der Schreibstil und diverse Tabubrüche, die ich schon sehr spektakulär fand. Ich gebe auch zu, dass ich eine Weile überlegt hatte, das „Westbuch“ nicht wieder zurückzugeben, da der Verleiher uns ja ganz offensichtlich im „ Stich gelassen“ hatte, ich habe es dann aber doch nachgeschickt.
„Das Treffen von Telgte“ ist eine Erzählung, die auch in der DDR als Taschenbuch erschien und die dann zu meinem ersten „eigenen Grass“ wurde. Hier setzt Grass der Gruppe 47 ein literarisches Denkmal, er nimmt eine Parallelisierung zum Dreißigjährigen Krieg vor und fragt nach den Möglichkeiten historischer Wirkung von Literatur.
Was die nächsten Jahre folgt, könnte man als vorläufige „Grassabstinenz“ bezeichnen, einzige Unterbrechung erfuhr diese, als die Schlöndorff-Verfilmung der „Blechtrommel“ im „Westfernsehen“ lief, ein deutscher Film, der zu Recht mit einem Oskar ausgezeichnet wurde. Davon gibt es ja bekanntlich nicht so viele. Stichwort Oskar, so heißt der Protagonist dieses „Schelmenromans“, ein Antiheld, der aus der Froschperspektive die Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus in Danzig und darüber hinaus kommentiert, ein Typ, der mit drei Jahren beschließt, nicht mehr weiter zu wachsen, ständig eine Blechtrommel mit sich herumschleppt, der so schrill schreien kann, dass er damit Glas zerbricht und der mit Hilfe von Brausepulver eine erotische Beziehung zu seinem Kindermädchen in Gang setzt. Natürlich geht es in dem Roman noch um bedeutend mehr, schließlich war er vor Jahren auch Bestandteil des Lesekanons an Gymnasien des Landes Brandenburg, also auch an unserer Schule, womit wir wieder beim Thema wären. Gemeinsam mit Schülern der SEK II wandelte ich auf den Spuren Oskar Matzerats und Joachim Mahlkes, der Hauptfigur aus „Katz und Maus“, einer Novelle, die kurz nach ihrem Erscheinen 1961 als jugendgefährdend eingeschätzt werden sollte, dann aber als Schulstoff freigegeben wurde. Wenn ich mich recht erinnere, war die Behandlung durchaus fruchtbringend und interessant und zuweilen auch „irre komisch“. Was die Skurillität der Figuren anbelangt, so dürften sich zwischen ETA Hoffmann („Klein Zaches genannt Zinnober“) und Günter Grass sicher Parallelen nachweisen lassen. „Katz und Maus“ bildet übrigens das Bindeglied zwischen der „Blechtrommel“ (1959) und „Hundejahre“ (1963). In diesen auch als „Danziger Trilogie“ bekannt gewordenen Werken setzt sich Grass mit der deutschen Geschichte auseinander, aber eben nicht „oberlehrerhaft“, sondern mit einem feinen Gespür für die Motive, die seine Figuren handeln lassen, eingebunden in die historischen Abläufe der Zeit, die er beschreibt.
Zwei Romane habe ich noch im Regal „gefunden“, „Ein weites Feld“ und „Beim Häuten der Zwiebel“. Ersterer zitiert mit seinem Titel Fontane und lässt die Hauptfigur „Fonty“ als Wiedergänger des berühmten Neuruppiners allerlei Abenteuer im Berlin der Wendezeit erleben, der zweite ist stark autobiografisch und enthüllt oder enthält, je nach Lesart, einige bis dato (2006) nicht bekannte Fakten über den Schriftsteller.
Vielleicht habe ich ja den einen oder die andere ein wenig neugierig gemacht, ich habe mir jedenfalls vorgenommen, nicht alle Bücher sogleich in den Tiefen meines Regals verschwinden zu lassen.:-).
Übrigens habe ich den Günter Grass auch einmal „live“ gesehen. Da bin ich eingeschlafen.
Nein, nicht bei Grass, sondern bei seiner Anmoderierung, er selbst erwies sich auch im Gespräch mit dem Publikum als wirklicher Erzähler, dem man gerne zuhört.
Bis demnächst
Euer A. M.
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