Nicht Du
TRIGGERWARNUNG ! ! !
Ergebenheit überzog meinen gesamten Körper. Wie ein undurchlässiger, gefährlicher Film breitete sie sich von Kopf bis Fuß über mir aus, während ich nur auf den Funken wartete, der das brausende Inferno entfachen würde. Leichtfertig, mit einem nicht unangenehmen Druck, spürte ich die Ergebenheit in jede einzelne Pore meiner Haut eindringen. Immer tiefer, durch meine Venen kriechend, langsam hinabschleichend, nistete sie sich wie ein Parasit in meiner Blutlaufbahn, in meinen Organen, in meinem Gehirn ein. Ich verlor mich in ihr, verlangte nach mehr, mehr von dieser toxischen Versuchung, mehr Euphorie, mehr Schmerz. Ich wollte das Benzin entflammen spüren, wollte die heißen Flammen auf meiner Haut fühlen. Meine Glieder kamen mir surreal schwer vor, doch gleichzeitig fühlte ich mich zurückgelassen in einem riesigen Raum voller Schwerelosigkeit. Meine Gedanken rasten von einer zur nächsten an sich bedeutungslosen Sache, konnten sich nirgendwo länger als wenige Augenblicke festhaften. Sie veranstalteten herzliche Feten in meinem Kopf, doch ich hatte keine Sekunde, um darüber nachzudenken, an welcher von ihnen ich am liebsten Teil haben wollte. Mein Kopf nahm mir diese Entscheidung wie von selbst ab, schleuderte mich vom einen zum nächsten bunten Szenario an wirren Nebelbergen ließ mir kaum Zeit, mich an den Flug zu gewöhnen und ich wusste, ich musste jederzeit damit rechnen, gegen eine harte Wand zu prallen, in die Tiefen des Nebels gerissen und eins mit dem Chaos der Emotionen zu werden. Im Moment genoss ich einfach die Ekstase, welche mich wie eine schützende Hülle umschlang und hoffte gleichzeitig, ich würde für immer in dieser verworrenen Welt schweben können.
Es war beängstigend, wie ich mich so ruhig hingeben konnte, wollte mein Kopf auch noch so viel protestieren. In diesen Momenten überwog weder mein Verstand, noch mein Herz. Es war ein Zwang, der mich trieb, mich Dinge tun ließ, die ich verachtete. Ein Zwang, der mich Sachen tun ließ, welche ich nicht wollte. Ein Zwang, welcher meinen Körper in die Ergebenheit trieb.
Trotzdem war ich froh, einen Ort der Zuflucht zu haben. Wenn er auch noch so grausam war, war er da; für mich, auf eine Weise, die mir mehr Sicherheit versprach, als die Liebe, die das Leben mir gab. Er stellte keine unangenehmen Fragen oder ließ mich, mich auf perfide Art unwohl fühlen, er war da und er umarmte mich mit all seinen tückischen Facetten. Wenn er nach mir griff, dann tat er das behutsam und sanft. Wenn er seine Hände verlangend nach mir ausstreckte, dann tat er dies mit unausgesprochener Vorsicht. Ich wusste, es war nicht seine Absicht, mich zu vertreiben und er wusste, ich würde mich ihm ohne Widerstand hingeben, wenn er auch nicht wusste, dass ich wusste, dass er mich verführte. Es war falsch, die Hände eines Dämons zu ergreifen, darüber war mein Verstand sich vollkommen im Klaren. Aber hatte ich denn auch eine Wahl, wenn ich mich bereits in den erdrückenden Armen des Teufels wandt? War es verwerflich, nach einem Seil zu greifen, von dessen Knoten du wusstest, dass er nicht genügend Halt bot?
Die Euphorie, mit welcher mein Körper eben noch reagiert hatte, ebbte gewiss langsam ab. Meine Sinne waren nicht mehr stumpfe, verwachsene Stämme, sondern überempfindliche kleine Zweige, welche jeden Reiz der Umgebung kontinuierlich aufsogen, analysierten und in die Weiten meines Bewusstseins entließen, wenn sie abbrachen. Die übermittelte Information drang für einen Moment an die Oberfläche meines Gedankensumpfes, wurde dort jedoch binnen Millisekunden im wirbelnden Winde verweht. Sie war dort, doch so schnell, wie sie gekommen war, war es mir nicht möglich, sie in den richtigen, dafür vorgesehenen Weg umzuleiten und war schon wieder verschwunden, wenn ich gewillt war, sie zu studieren. Etwas widerstrebte in meinem Inneren, flüsterte mir Dinge zu, welche ich nicht verstand. Mein Kopf gehorchte mir nicht mehr.
Mir war kalt. Meinen Körper überzog eine Gänsehaut und ich glaubte, mir wurde noch ein Mal kälter.
Ich hörte ein Flüstern. Ich verstand es nicht, war im Begriff mich darauf zu konzentrieren, doch da war es auch schon wieder verschwunden.
Meine Lippen verließ ein undeutlicher Laut, doch bekam ich kein Echo zurück. Meine dürren Hände versuchten nach etwas zu greifen, von dem ich nicht wusste, ob es existierte – wollten Halt, suchten nach dem rettenden Engel. Vergeblich griffen sie ins Nichts. Meine Gedanken kreisten in einem Strudel unvorstellbarer Wucht, der Nebel verschleierte die Sicht in den Himmel und der letzte Ausweg war das schwarze gruselige Loch am Grund, welchem ich mich Schritt für Schritt rasend näherte, während alles zu überschwappen drohte.
Meine Sicht verschwamm, als mein Kopf versuchte, sich in die Richtung zu drehen, aus der ich ein Geräusch vermutete. Es war schwer, sich zu konzentrieren und noch schwerer, da meine Sicht nicht mehr bunte Wirrware aus Lichtern und Farbkleksen waren, sondern ein schwarzer, dicker Vorhang, der mich in die Enge trieb.
Mir war heiß. Ich fühlte Schweiß meinen Rücken herabrinnen. Er war kalt und brannte auf meiner erhitzen Haut, ließ mich zusammenfahren. Ich fühlte sanfte Berührungen auf dem Körper, welche sich wie Dornen in mein Fleisch schnitten. Alles fühlte sich so intensiv an; ich genoss es, auch wenn ich es zu hassen vermochte.
Ich spürte Druck an meinen Handgelenken. Das Zerren an ihnen – Schmerz. Ein tauber Schmerz, der sich seinen Weg meinen Arm hinauf bis in meine Schulter suchte. Er kam plötzlich und ich hatte keine Möglichkeit, mich gegen ihn zu wehren. Ohnehin kam mir alles wie in einer großen Seifenblase vor, die die Sicht auf die Umgebung verzerrte und mich in ihr einschloss, mich alles nur zum Teil wahrnehmen ließ. Ich wünschte, ihre Wand wäre dicker, massiv und undurchdringlich gewesen. Dann hätte er sie nicht mit einem Lufthauch zerstören können. Er hätte mich nicht verletzen können.
Die Glückseligkeit hatte meine Glieder schon längst wieder verlassen. So sehr ich mich auch jedes Mal nach ihrer Präsenz sehnte, blieb sie nie länger als kurze Wimpernschläge. Jeder Gedankte an meine lang ersehnte Flucht wurde zerstört, mit jedem Mal, in dem ich mir die Ergebenheit aufzwang. Ich wollte nach der Süßigkeit greifen, welche man mir so dringlich unter die Nase hielt, wollte sie kosten, sie schmecken und mich mit Freude nach mehr sehnen, doch das einzige, was ich vollbrachte, war das Auspacken. Es war mir möglich, das dünne Papier vorfreudig zu zerreißen, doch mehr auch nicht. So sehr ich mich an die Süßigkeit klammern wollte, er riss sie aus meinen Händen, zerstörte die Hoffnung. Dabei lag meine einzige Intention darin, für einen kurzen Augenblick Glück zu verspüren. Doch zurück blieb nur ein erdrückendes Gefühl. Es war scheußlich. Es war unbefriedigend und ätzend. Es war wie das Aufhören kurz vor dem Orgasmus, ein heftiger Schlag ins Gesicht.
Und ich war nicht fähig zurückzuschlagen. Vielleicht wäre ich fähig gewesen, doch ich war nicht fähig. Nicht fähig zuzuschlagen, aber fähig zur Ergebenheit.
Ein Zwang ließ mich vergessen. Er war von der Außenseite bis in die tiefsten Tiefen meines Ichs gedrungen. Ich war froh über ihn, auch wenn er ungewollt war.
Der Zwang hielt mich zurück. Griff ich nach dem rettenden Seil, bekam ich als Antwort nur den bekannten Stoß in den Abgrund. Ich hatte es akzeptiert, wenn auch nicht aus freien Stücken.
Sein Zwang fügte mir Schmerzen zu. Ich hasste sie.
Gleichgültigkeit.
Mir war wieder kalt, doch es störte mich keineswegs, die Kälte war ein willkommener Freund, welcher mich in eine innige Umarmung zog. Die Kühle war ein schöner Kontrast zu meinem brennenden Körper und der Leere, die sich in meinen Gliedern ausbreitete und jeden Zentimeter für sich beanspruchte, während das Chaos in meinem Kopf zu explodieren drohte. Ich versuchte meine Umgebung nicht durch den milchigen Schleier zu sehen, welcher sich unerlaubt über meine Augen gelegt hatte, während ich zugleich stockend den Versuch startete, meine steifen Gelenke zum Bewegen zu zwingen, ehe mein Gehirn sich an Wänden und Möbeln verteilen konnte.
Alles war wie gewohnt – Übelkeit, Taubheit und das Gefühl von Resignation. Der Teufel spielte mit mir, schickte Dämonen mit verlockenden Angeboten, von denen er wusste, ich könnte sie nicht ausschlagen, ließ sie mich gleichzeitig in Frage stellen und breitete seine Arme aus, um mich in ihre Richtung zu schubsen. Er genoss es, mich fallen zu sehen und mich zu foltern, das war mir bewusst. Und auch wenn ich gewillt war, mich seinen giftigen Klauen zu entziehen, konnte ich es nicht – dachte ich.
Josefine Larf, Klasse 12