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Wieviel Theater verträgt ein 12Klässler an einem Tag?

Berlinmarathon einmal anders oder wieviel Theater verträgt ein 12Klässler an einem Tag?

Diese und noch einige andere Fragen im Gepäck machte sich der Jahrgang künftiger Abiturienten am 11.10.16 auf in die „große Stadt“ Berlin.

Es sollte wirklich ein langer Tag werden, der um 08.00Uhr am Bürgerpark in Kyritz begann und ebenda gegen 23.00 Uhr sein Ende fand. Dazwischen lagen ereignisreiche Stunden, die uns auf den Spuren Gerhart Hauptmanns sahen, sowohl was sein Leben als auch sein Werk betraf.

Vier Jahre lebte der 1862 im schlesischen Obersalzbunn (heute Polen) geborene Schulabbrecher und spätere Nobelpreisträger für Literatur von dem Geld seiner Frau und natürlich auch mit ihr in dem kleinen Ort Erkner bei Berlin in einer schönen Villa, die heute eine Gedenkstätte ist und in der wir unsere „Spurensuche“ begannen.

Eine gleichermaßen freundliche wie kompetente ältere Dame nahm uns mit auf eine Reise durch das Leben des deutschen Dichters, der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als der „Shootingstar“ des deutschen Theaters galt, dem Naturalismus auf die Bühne verhalf, die „Soziale Frage“ mit ihren Auswirkungen öffentlich machte, Skandale provozierte und sich dabei auch noch „dumm und dämlich“ verdiente.

Auf den täglichen, von ihm selbst als „Produktivspaziergänge“ bezeichneten Wanderungen in die nähere Umgebung entstand die Idee zu dem sozialen Drama „ Vor Sonnenaufgang“, mit dem er seinen kometenhaften Aufstieg in den deutschen Theaterhimmel begann, doch dazu später mehr.

Wir erfuhren, dass der Dichter ein Herz für die „kleinen Leute“ hatte, aber auch für ein Leben in Luxus mit den damit verbundenen Annehmlichkeiten. Das Geld dafür erhielt er aus den Tantiemen für seine Stücke, die landauf, landab auf den deutschen Bühnen gespielt wurden. Als junger Mann sympathisierte er mit der Sozialdemokratie, in der Weimarer Republik bot man ihm das Amt des Reichspräsidenten an, das er dankend ablehnte. Die Liste seiner Bekannten, Freunde und Gönner liest sich wie das „Who is Who“ der Kunst- und Literaturszene im damaligen Deutschland. In einer Partei war er nie. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, blieb er im Land und ließ sich zum „ Aushängeschild“ des Reichspropagandaministers Goebbels missbrauchen, also eine durchaus ambivalente Dichterpersönlichkeit, die uns da aus der Vergangenheit entgegentrat.

Hauptmann starb 1946 in seinem Haus in Agnetendorf in Schlesien 2 Tage vor seiner Ausweisung und wurde auf der Insel Hiddensee, auf der er viele Sommer verlebt hatte, beigesetzt.

Den zweiten Teil des Tages verbrachten wir in dem Teil Berlins, in dem heute Konopkes Currywurst mit Portugiesischer Linsensuppe, Vietnamesischer Frühlingsrolle und Schwäbischen Spätzle konkurriert, im Prenzlauer Berg.

Hier, im Herzen des alten Berlins, da, wo viele der Dramen Hauptmanns und anderer Naturalisten ihre Schauplätze fanden, wo Heinrich Zille seine Milieustudien betrieb, brachte das „Theater an der Parkaue“ erst „Vor Sonnenaufgang“ und im Anschluss, nach einer halbstündigen Pause, „Die Ratten“ auf die Bühne des Praters, einer Mischung aus Biergarten und Varietee, etwa genauso alt wie die Theaterstücke und von einer wechselvollen Geschichte, die es verdiente, auch einmal erzählt zu werden.

Keine Angst, es folgt keine detaillierte Inhaltsangabe beider Stücke, nur soviel sei verraten, es geht um Alkoholismus, Missbrauch, gescheiterte Lebensentwürfe, Kindesentführung, Mord und noch so einige Dinge, die die Schattenseiten menschlicher Existenz ausmachen.

„Und was habe ich damit zu tun?“, werden sich sicherlich einige der zumeist jugendlichen Theaterbesucher gefragt haben.

Die Frage ist berechtigt, zumal wenn man am Anfang eines Lebens steht, von dem man alles andere erwartet, als das, was die zumeist jungen Akteure mit viel Hingabe und vollem Körpereinsatz vorspielten.

Man kann lernen, wir können lernen, zum Beispiel etwas über die Zeitlosigkeit psychologischer Konflikte, wie sie entstehen, was sie bewirken, ob es Lösungen gibt und wovon diese abhängen.

Empathie heißt das Zauberwort, eine Art Katharsis unserer Zeit, die im „Selfimodus “ oft untergeht.

Was ich außerdem gelernt habe?! Unsere Schüler mögen Theaterbesuche ( auch ohne „Macesvisiten“), sie sind neugierig im besten Wortsinn, sie lassen sich auf Neues ein und zeigen Ausdauer und Interesse.Der „Blick über den Tellerrand“ hat sich gelohnt. Dafür ist ein großes Lob fällig!

Ich denke im Namen aller TeilnehmerInnen zu schreiben, wenn ich an dieser Stelle meiner Kollegin Simone Schütte sehr herzlich danke, die es wieder einmal möglich gemacht hat mit ihrem Organisationstalent, ihrem unermüdlichen Engagement und ihrem untrüglichen Faible für die wirklich sehenswerten Orte und Veranstaltungen in der „großen Stadt“ Berlin. 🙂

Andreas Müller