Zurück

Die Stimme des Königs (1)

Die Stimmen

Ich war ganz allein auf meinem Weg nach Hause. Es war ein ruhiger Nachmittag, die Sonne schien. Vielleicht noch eine Stunde, dann würde sie untergehen. Am Rande des Weges blühten Blumen. Die Vögel zwitscherten munter vor sich hin. Heute war wirklich ein schöner Tag.

Ich hatte keine Lust, den langen Weg zu gehen, um dann später zuhause zu sein. Also bog ich in den Wald ein und ging über den Hof des Nachbarn. Da er sowieso nie da war, würde es ja nicht so schlimm sein.

Das alte graue Haus wirkt immer kalt und allein gelassen. Die Blumen in seinem Garten sind schon lange verblüht und vertrocknet. Sie machen den Hof noch trostloser, als er ohnehin schon war. Das ist ja auch kein Wunder, wenn Herr Berrymore nie da ist. Er hatte auch niemanden, der bei ihm wohnen wollen würde. Er ist ein Soziopath, dass macht es schwer, es mit ihm auszuhalten. Als ich kleiner war, dachte ich immer, er sei ein Psychopath, weil er sich schon immer etwas seltsam verhalten hatte. Er war immer unfreundlich zu mir und meiner kleinen Schwester gewesen. Seine Unfreundlichkeit war ein Grund, warum er nicht einen Freund in unserer Gegend hatte. Zumindest keinen, der mir bekannt war, und ich kannte so gut wie jeden hier. Meine Eltern hatten immer gesagt, wir sollten trotzdem nett zu ihm sein, auch wenn er uns seltsam angestarrt hatte.

Plötzlich hörte ich einen Hund. Dieser bellte sehr laut. Er schien sehr nah. Aber ich sah ihn nicht. Ich wusste zwar, dass Herr Berrymore keinen Hund hatte, aber es wurde mir hier trotzdem zu unheimlich und ich rannte los. Als ich zu Hause ankam, war niemand da.

„Seltsam, normalerweise ist doch immer jemand zu Hause“, dachte ich. Hatte ich laut gedacht? Scheinbar hatte ich laut gedacht, weil plötzlich eine junge Männerstimme neben mir sagte: „Ich stimme dir zu … Das ist sehr seltsam, weil dich haben deine Eltern wirklich noch nie allein zu Hause gelassen. Dir könnte ja etwas passieren. Was, wenn ihnen was zugestoßen ist? Oder Claire? Ich meine ein kleines Mädchen, wie sie, kann sich schon mal auf dem Weg von der Schule nach Hause verlaufen.“

Ich erschrak. „Wer ist da?“ fragte ich ,während ich mich langsam umdrehte. Da war niemand. Vielleicht war ich ja übergeschnappt, weil ich in letzter Zeit sehr wenig geschlafen hatte. Also ging ich ins Bett. Ich dachte lange über diese männliche Stimme nach, was wollte sie von mir? Und wer war er überhaupt, der da sprach? Woher wusste er das alles? War er echt oder nur eine Stimme in meinem Kopf?

Irgendwann schlief ich dann doch ein.

Aber lange hatte ich nicht geschlafen. Schon nach wenigen Minuten wachte ich wieder auf ,weil ich den Schrei einer Frau vernahm. Vielleicht drei Sekunden später hörte ich wieder den Hund bellen. Ich stand auf. Als erstes hoffte ich , dass ich träumte. Doch dann stieß ich mit meinem Fuß gegen den Schrank. Der Schmerz bewies mir ,dass ich nicht träumte. Langsam ging ich zum Fenster und schaute hinaus. Ich erschrak, da war nichts … Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Mutter Sun, mein Vater Karl und meine kleine Schwester Claire mich von der Tür aus beobachteten. Mein Vater fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Dann erzählte ich von den Sachen ,die ich gehört hatte.

Er sagte: „Du bist doch nicht mehr ganz dicht. Also das ist nicht böse gemeint. Aber du hörst Stimmen, Schreie und andere Geräusche, die keinen Sinn ergeben. Geh am besten schlafen!“ Ich wollte meinem Vater nicht widersprechen, also ging ich ins Bett. Ich hörte noch ,wie mein Mutter Claire in ihr Zimmer brachte und ihr versicherte ,dass ich nicht verrückt sei. Als Claire scheinbar eingeschlafen war, kam meine Mutter nochmal zu mir ins Zimmer, um zu schauen, ob ich schon schlief. Ich tat es nicht. Sie setzte sich auf mein Bett und ich fragte: „Mama werde ich verrückt?“

Sie antwortete mit ruhiger Stimme: „Nein mein Schatz. Das ist bestimmt nur eine Phase. Weißt du, deine Tante hat auch manchmal Stimmen gehört. Doch sie hat sich gesagt ,dass es kleine Engel sind ,die ihr nur helfen wollen, den Weg zu finden.“

Ich schluchzte: „Aber sie lebt nicht mehr, also ist sie mir keine große Hilfe. Mum, ich will sie zurück.“

Meine Mutter wich meinem Blick aus und sagte: „Mir fehlen Kate und James auch. Sie sind jetzt nun mal nicht mehr da. Daran können wir leider nichts mehr ändern. Aber weißt du was , alle Menschen ,die du liebst und die sterben, die leben in deinem Herzen weiter, tief in dir drin, als kleine Erinnerung ,egal wie sehr du dir wünscht, dass es nicht so ist. Weißt du noch, als Roxi gestorben ist? Es war furchtbar für uns alle, aber weißt du, was mir dabei geholfen hat, nicht mehr so traurig zu sein? Ich habe mich einfach an die schönen Zeiten mit Roxi zusammen erinnert.“

Sie verließ leise mein Zimmer und ging zu meinem Vater. Ich hörte noch, dass sie etwas zu ihm sagte und dann anfing zu weinen. Da schlief ich auch schon ein.

Fortsetzung folgt…

Clara Ehrke, Klasse 11